Interview: Philip Venables
Malte Jacob im Gespräch mit Philip Venables, dem Komponisten von The Faggots and their Friends between Revolutions.
Würdest Du sagen, dass The Faggots and Their Friends queere Personen inspiriert und ermutigt in einer Zeit, in der die Anfeindungen gegen die Community wieder stärker werden?
Ich möchte es sehr gerne als eine Quelle von Inspiration und Trost sehen. Natürlich gab es eine ganze Bandbreite emotionaler Reaktionen von Zuschauer:innen – vor allem von queeren Personen – die die Arbeit als unheimlich bewegend und ungewöhnlich empfunden haben. Ich bin skeptisch, ob das die Welt da draußen, die sich gerade offenbar in einer ziemlichen Notlage befindet, in irgendeiner Weise verändert. Kunst kann uns auf vielfältige Weise unterstützen, sie ist lebensnotwendig. Trotzdem ist sie kein Ersatz dafür, auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren.
Larry Mitchel – der Autor, dessen Buch Dich zu dieser Komposition inspiriert hat – gilt als Ikone in der queeren Community. In den 1970ern gründete er in New York eine kleine Druckerei, die sich auf queere Literatur spezialisierte und ist selbst einer der ersten, die queere Science-Fiction schrieb. Was hat Dich und Ted Huffman (Regisseur/Libretto) dazu bewogen, gerade dieses Buch in eine Musiktheaterproduktion zu verwandeln?
Das Buch ist mir zum ersten Mal 2013 begegnet, über Freund:innen aus der Radical Faeries Bewegung. Damals wurde es noch als PDF herumgereicht, weil es vergriffen war. (Es gibt jetzt eine fantastische neue Ausgabe von Nightboat Books, die Sie sich kaufen sollten!). Das Buch hat mich umgehauen. Ich fand die Art, wie es systemische Gewalt und Trauma behandelt, absolut großartig: mit derartig liebevoller Gegenwehr, Verspieltheit und schwarzem Humor. Ich habe mich von dem Buch gesehen gefühlt, und das war unglaublich empowernd. Ich habe es Ted 2016 nach unserem ersten gemeinsamen Opernprojekt gezeigt, als wir Ideen für neue Stücke austauschten. Er mochte es auch, und wir konnten nicht aufhören, darüber zu sprechen. Trotzdem betrachteten wir es lange eher als Witz, weil wir nicht dachten, dass irgendjemand bereit wäre, ein Stück mit so einem Titel zu produzieren. Das ist der Verdienst des Manchester International Festivals, der Ruhrtriennale und der anderen großartigen Koproduzent:innen, die uns unterstützt haben.
Du sagst, Du fühltest Dich von dem Buch „gesehen“. Ist das in Deinen Augen die universale Erfahrung, die queere Leser:innen machen, und was hat es zu einem queeren Kult-Buch gemacht?
Ja, ich denke schon. Es ist eine unglaubliche Mischung aus Humor, Naivität, Freude und Liebe. Es spricht über die grundlegend negativen Dinge in der Welt auf eine sehr empowernde, positive und verspielte Weise. Es ist ziemlich schelmisch und frech, birgt aber viele tiefe Wahrheiten.
Würdest Du sagen, der Genremix dieser Produktion – das Stück ist nicht einfach „nur“ Musiktheater oder „nur“ eine Oper – hängt mit dem Konzept von Queerness zusammen?
Auf jeden Fall gibt es viele Überschneidungen. Offen gesagt, mir ist diese Unterscheidung egal, wenn ich ein Stück mache. Dennoch ist es wichtig, dass man es für das Publikum im richtigen Kontext präsentiert. Manchmal sind wir bei Opernfestivals aufgetreten, manchmal bei Theaterfestivals – alle haben sie unterschiedliche Erwartungen. Wir hoffen, mit der Form des Stücks diese Erwartungen zu unterlaufen und mit ihnen zu spielen. Wir wollten etwas höchst mehrdeutiges machen, etwas, das die Gestalt verändert: In einem Moment ist es Theater mit viel gesprochenem Text, im nächsten Moment hören wir Opernstimmen, die Barock-Lieder singen, dann wiederum Improvisationen, Songs, die von Folk-Musik inspiriert wurden, Bossa Nova, Techno oder das Publikum, das mitsingt. Dieses Stück arbeitet mit vielen Konzepten für Stimme und Theater. Darum ist es hoffentlich manchmal eine Oper und manchmal nicht. Eine sehr frühe Idee war es, unterschiedliche Genres und Stile einzusetzen, als Metapher für sich wandelnde Identitäten, für den Begriff vom ‚Rollen spielen‘ und vom etwas darstellen – alles Konzepte, die eine queere Existenz durchdringen, ob aus freien Stücken oder aus einer Notwendigkeit heraus. Es gibt diesen Schlüsselsatz im Stück: „Die Faggots und ihre Freund:innen lieben es, sich gegenseitig etwas vorzuspielen“ – als Methode, um ihre Geschichte, ihr Trauma, ihre Community und ihre Träume zu verarbeiten. So gesehen sind alle diese unterschiedlichen Genres im Stück Wege, um sich musikalisch ‚zu verkleiden, etwas aufzuführen und Geschichten zu erzählen‘. Wie verschiedene musikalische Kostüme für unterschiedliche Geschichten.
Auf der Ruhrtriennale spielst Du in der Jahrhunderthalle. Wie wird das Stück mit diesem – in gewisser Weise zurückgewonnenen – Ort zusammenwirken?
Wir hatten bislang noch keine Vorstellung an so einem industriellen Ort wie der Jahrhunderthalle – umso aufgeregter bin ich. Mit Sicherheit könnte man alle möglichen spannenden politischen Vergleiche zwischen dem Inhalt des Stücks und der Idee von zurückgewonnenen Räumen ziehen, insbesondere industrielle und kapitalistische Räume sowie Räume von Arbeiter:innen. Davon abgesehen freue ich mich auf die Atmosphäre um die Jahrhunderthalle und das Festivalzentrum herum, auf die Aufregung, wenn das Publikum und die Künstler:innen an dieser Art Knotenpunkt aufeinandertreffen.
Könntest Du etwas zum Wort „faggot“ sagen, wie es im Stück benutzt wird und über die Bedeutung, den Begriff zurückzuerobern?
Die Anwesenheit dieses Wortes hat bei unserem Arbeitsprozess alle möglichen Diskussionen ausgelöst, angefangen mit großer Rücksichtnahme auf das Ensemble, um Sicherheit und Unterstützung im Probenraum zu gewährleisten, bis hin zu eher banalen Dingen wie: Wie postet man den Titel des Stücks auf Instagram, ohne automatisch entfernt und als missbräuchlicher Inhalt gemeldet zu werden? Wir haben sehr lange mit dem gesamten Team darüber gesprochen, was das Wort für jede Person im Raum bedeutet und wie wir achtsam und sensibel damit umgehen. Es hat für jede:n eine andere Bedeutung, weckt sowohl Assoziationen von Gewalt als auch Empowerment. Für das Publikum wollten wir es auf eine positive Art und Weise zurückgewinnen. Wir wollten es nicht mit Gewalt oder Negativität aufladen und genau das, wie ich finde, ist auch dem Buch extrem gut gelungen. Während der Vorstellung benutzen wir das Wort hunderte Male ganz ohne großes Gehabe und Trara, jedoch stets in einer freundlichen, liebevollen Art, bei der es um Solidarität geht. Ich hoffe, so verändert sich die Bedeutung des Wortes für das Publikum langsam, ohne dass wir es erklären oder definieren müssen.
Wäre es für Dich in Ordnung, wenn das Wort „faggot“ dadurch wieder öfter benutzt werden würde – allerdings im Sinn einer Wiederaneignung, auf positive Art und Weise?
Ich glaube nicht, dass es eine allgemeingültige Antwort auf diese Frage gibt. Ich denke, es braucht noch viel Zeit – mehrere Generationen, vielleicht sogar Jahrhunderte – bis sich die Bedeutung von so einem Wort grundlegend verändert. Wir kennen das von anderen wirkmächtigen Verunglimpfungen. Wir müssen sensibel bleiben für die unterschiedlichen Geschichten und Assoziationen, die die Menschen mit diesem Wort verbinden. Für mich persönlich ist das Wort eher positiv als negativ besetzt. Dennoch weiß ich, dass dieses Empowerment nur deshalb so stark ist, eben weil dieses Wort so eine brutale Vergangenheit hat. Wir müssen also einfach die Balance finden.
Du hast bereits erwähnt, wie eng Du während des gesamten Arbeitsprozesses mit dem Ensemble zusammengearbeitet hast. Wie war das für Dich und alle anderen?
Es war eine wunderbare Arbeitsweise. Das Ensemble hatte zuvor mehrere Workshop-Runden durchlaufen. Jede Person war von uns sorgfältig ausgewählt worden, um diese große Bandbreite an Talenten und Fähigkeiten für das Projekt zusammenzubringen. Danach haben wir versucht, das Stück unserem Ensemble auf den Leib zu schneidern. Ich glaube, das kommt deutlich rüber, wenn man es sieht. Ein Großteil der Musik war in einer Art komprimierter Partitur niedergeschrieben und wir haben dann auf den Proben Satz für Satz eingeteilt, wer was spielt, singt und spricht. Es war also eine Kombination aus Stückentwicklung, Lern- und Inszenierungsprozess. Aber es ist auch die Art von Produktion, die sich immer weiterentwickelt, aufgrund der Art und Weise, wie sie auf der Bühne funktioniert, und wegen unserer unglaublichen Darsteller:innen, die sich über die Maßen für das Stück und füreinander engagieren. Ich habe noch nie mit einem Ensemble gearbeitet, bei dem die Chemie so gut stimmt, und die mittlerweile wie eine Familie geworden sind. Es ist einfach wunderbar und in diesem Stück über die Macht der Gemeinschaft ist es tatsächlich das Leben, das die Kunst imitiert.