
„Ich will Musiktheater neu denken“
Ivo Van Hove im Gespräch
Im Rahmen der jährlichen Mitgliederversammlung des Ruhrtriennale-Freundeskreises sprach Intendant Ivo Van Hove über das Programm der Ruhrtriennale 2025 , seine neue Arbeit I Did It My Way, seine Beziehung zu der Musik von Frank Sinatra und Nina Simone – und über sein Verständnis von Musiktheater.
Ivo, wie fühlt es sich an, das Programm der Ruhrtriennale 2025 dem Freundeskreis vorstellen zu können?
Es ist natürlich ein unglaublich aufregender Moment, wenn man zum ersten Mal außerhalb des Teams, das für das Programm verantwortlich ist, darüber spricht. Und man weiß nie, wie die Reaktionen ausfallen werden.
Was sind in diesem Jahr die zentralen Themen, die sich durch das Festival ziehen?
Ich mache kein Themenfestival – die Künstler:innen bringen ihre eigenen Themen mit. Natürlich gibt es Themen, die heute sehr präsent sind. Identitätspolitik ist nach wie vor eines davon – man kommt kaum daran vorbei. Das zeigt sich zum Beispiel in meiner Inszenierung I Did It My Way aber auch in anderen Arbeiten, etwa bei Robyn Orlins …how in salts desert is it possible to blossom…, wo es um Kolonialismus geht und um die Wichtigkeit und die Schwierigkeit, eine eigene Identität zu entwickeln.
„Das ist mir sehr wichtig, dass es auch Hoffnung gibt.“
Weitere wichtige Themen sind Gewalt und Krieg – es gibt derzeit viel Krieg in der Welt, und das beschäftigt natürlich auch die Künstler:innen. Ein Beispiel dafür ist Guernica Guernica von FC Bergman. Es ist eine Uraufführung, das Stück wird gerade entwickelt. Es wird 80 Statist:innen auf der Bühne geben, und es wird nicht ein Wort gesprochen. Die Handlung wird nur über Bilder erzählt. Es geht um die Unmöglichkeit, das Wesen von Krieg wirklich zu erfassen.
Das Motto der Ruhrtriennale ist Longing for Tomorrow und erstreckt sich über alle drei Jahre deiner Intendanz. Mit diesem verbindest du auch einen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft.
Ja, das ist mir sehr wichtig, dass es auch Hoffnung gibt. Wir leben in einer sehr intensiven Zeit – einer Zeit großer globaler Umbrüche, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Und man spürt, dass viele Künstler:innen sich damit auseinandersetzen, wie wir damit umgehen können. Natürlich ändern wir mit Kunst nicht die Welt, aber wir können darüber sprechen – auf eine poetische Weise, nicht unbedingt auf eine aktivistische. Wobei Aktivismus auch wichtig ist: In meiner Inszenierung entwickelt sich eine Figur zur Aktivistin. Es ist wichtig, dass solche Stimme im Theater gehört werden.
Du hast deine neue Arbeit gerade angesprochen. Worauf bezieht sich der Titel I Did It My Way?
I Did It My Way ist der bekannteste Song von Frank Sinatra. Er hat ihn sehr oft gesungen, in sehr verschiedenen Interpretationen und Kompositionen. Für ihn war es sein Lied, Ausdruck seiner Identität. Es steht für etwas Positives: „I did it my way, because that’s what I needed to do” – „Ich tue es, wie ich es für richtig halte, aber ohne jemandem zu schaden.“
Warum hast du Musik von Frank Sinatra und Nina Simone ausgewählt? Was verbindet dich mit der Musik der beiden?
Mit Nina Simone habe ich mich immer verbunden gefühlt. Ihre Konzerte waren unglaublich intensiv, das kann man heute noch auf YouTube sehen. Sie war einfach sie selbst und ließ sich nicht verbiegen. Ihre Musik hat mich mein Leben lang begleitet.
Frank Sinatra ist eine spätere Entdeckung, in den 70er Jahren, als ich selbst jung und seine große Zeit eigentlich schon vorbei war. Damals stieß ich auf das Album Watertown. Es ist nicht so bekannt, aber Sinatra selbst sagte, es sei sein persönlichstes Album. Es war kein großer kommerzieller Erfolg, aber dieses Album war für mich der Ausgangspunkt. Er singt dort nicht mit Big Band, sondern sehr reduziert – viel mehr verbunden mit seiner Seele, seinen Gedanken und seinen Gefühlen. Diese Suche nach neuen Ausdrucksformen in der Musik finde ich künstlerisch sehr spannend.
Wie wählst du die Songs aus und wie lässt du daraus eine Geschichte entstehen?
Das Album ist für mich der Ausgangspunkt. Ich nutze verschiedene, aber nicht alle Songs. Am Anfang dieses Albums steht ein Paar – sie leben schon lange zusammen, haben zwei Kinder. Eines Tages, beim Frühstück, steht die Frau auf, sagt „Goodbye“ und geht. Ohne Streit, ohne sichtbaren Grund. Der Mann bleibt allein zurück und ist nicht imstande, etwas mit seinem Leben anzufangen. Die Frau hingegen entdeckt, was es bedeutet, als Schwarze Frau in der amerikanischen Gesellschaft zu leben. Sie wird, man könnte sagen, zur Aktivistin.
„Ich glaube, dass wir mit ‚I Want Absolute Beauty‘ entdeckt haben, dass diese Musik einfach dafür gemacht ist, inszeniert zu werden.“
Mit Lars Eidinger hast du bereits gearbeitet, Larissa Sirah Herden singt die zweite Hauptrolle. Warum diese Besetzung?
Ich habe letztes Jahr mit Sandra Hüller gearbeitet und mir gewünscht, diese Idee von Musiktheater – in der Musik das narrative Herzstück ist – weiterzuentwickeln. Lars kenne ich von unserer Arbeit an Der Menschenfeind an der Schaubühne. Das ist zwar lange her, aber wir sind in Kontakt geblieben. Als dieses Projekt Form annahm, dachte ich sofort an ihn. Ich wusste, dass er singen kann. Also ich habe ihn angerufen – und er hat direkt zugesagt. Danach suchte ich eine Sängerin für die weibliche Hauptrolle – und das ist Larissa Sirah Herden geworden. Diese Verbindung von Schauspiel und Gesang ist mir für diese Arbeit besonders wichtig.
Mit dem Choreografen Serge Aimé Coulibaly ist ein weiterer renommierter Künstler Teil des Projekts. Wieso hast du ihn für das Projekt ausgewählt?
Serge Aimé Coulibaly ist ein Choreograf aus Burkina Faso. Anita van Dolen, die bei der Ruhrtriennale das Tanzprogramm kuratiert, hat ihn für dieses Projekt vorgeschlagen. Wir haben uns sofort verstanden. Er sagte, er habe bereits mit Musik von Nina Simone gearbeitet – das wusste ich gar nicht, aber wir waren sofort auf einer Wellenlänge.
Du hast einmal gesagt, du möchtest den Blick auf das erweitern, was Musiktheater heute sein kann: Inwiefern knüpft I Did It My Way an die Idee von Musiktheater an, die du schon bei I Want Absolute Beauty umgesetzt hast?
Für mich ist das zentral. Die Ruhrtriennale ist bekannt für Musiktheater – das ist auch für mich persönlich das eigentliche Zentrum. Aber Musiktheater ist viel vielfältiger, als man oft denkt. Es gibt nicht nur Bach oder Penderecki, all diese fabelhafte Musik. Wenn Billie Eilish heute ein Album macht, ist es immer ein Konzeptalbum. Es geht immer um einen Gedanken, um ein Gefühl, um eine Person.
Die Idee der Konzeptalben gab es schon in den 70er Jahren, da war das wirklich groß. David Bowie hat das gemacht, The Who, Elton John, wirklich viele Künstler:innen haben diese Art von Alben gemacht, in denen sich eine Geschichte über mehrere Songs entwickelt. Und ich habe mich gefragt, warum diese Alben nie inszeniert werden. Ich glaube, dass wir mit I Want Absolute Beauty entdeckt haben, dass diese Musik einfach dafür gemacht ist, inszeniert zu werden.
Die Uraufführung von I Did It My Way ist ab dem 21. August im Rahmen der Ruhrtriennale 2025 zu erleben.